Ein schweizerisch-kubanisches Projekt mit verdrehten Vorzeichen. Normalerweise spielen Schweizer Salsa-Bands kubanische Produktionen. Beim Album La Vida Entera von Martin Lehner (El Zorro) ist es genau umgekehrt. Das Ergebnis ist überzeugend. Martin Lehner stellt Salsa Sabrosa im Interview sein ungewöhnliches CD-Abenteuer vor.
Von Salsa Sabrosa
Salsa Sabrosa: Wie kam es zu diesem Projekt?
Martin Lehner: Ich bin seit Jahren befreundet mit dem kubanischen Musiker Gustavo Duran Anaya.
Schon seit längerer Zeit spielte ich hier in der Schweiz Salsa und hatte auch begonnen, eigene Stücke zu schreiben. Gustavo gefiel dieses Material und er fand, es würde sich lohnen, diese Stücke mit guten kubanischen Musikern aufzunehmen. Ich dachte mir, ich gebe ihm lieber Geld und lasse ihn dafür aber auch für mich arbeiten, als dass er dauernd klagt, wie schwer das Leben ist und dass er Geld benötigt. Der Tourist ist für kubanische Verhältnisse reich und wird deshalb automatisch als Geldquelle angesehen, auch wenn einem eine dicke Freundschaft verbindet. Wenn Gustavo aber einen Auftrag von mir hat, können wir beide profitieren. Gustavo kann jetzt in Kuba zeigen, dass er eine CD-Produktion gemacht hat. Das ist gut für seine Reputation als Musiker. Und das Resultat, die CD „La vida entera“, ist fantastisch.
SaSa: Wodurch zeichnet sich die CD aus?
Martin: Mir ist ein Anliegen, dass meine Musik tanzbar ist, da ich auch selbst gerne tanze. Ich habe deshalb auf die Tempi geachtet. Ich wollte auch, dass es kubanische Musik ist, aber nicht zu extreme Timba, auch wenn ich ein absoluter Timba-Freak bin. Ich wollte bewusst etwas kommerzieller sein und eine breitere Öffentlichkeit ansprechen. Deshalb freute mich, dass mein Label die CD als „as sexy as intelligent“ bewertet hat. Das war genau mein Ziel: Tanzmusik zu machen, aber gute und nicht blöde.
SaSa: Was war die Produktion dieser CD für ein Erlebnis?
Martin: Ich mache ja schon länger Musik und kenne auch Kuba von vielen Reisen. Ich dachte deshalb, ich wisse, wie das läuft. Speziell ist, das wir verschiedene Wertvorstellungen haben. Die Kubaner ticken wirklich anders als wir. Das, was man in den Ferien erlebt, oder auch wenn man Unterricht nimmt, entspricht nicht dem Alltag. Den kubanischen Alltag erlebst Du erst wirklich, wenn Du etwas auf die Beine stellst, wie zum Beispiel diese CD-Produktion. Dieses Erlebnis war sehr spannend, aber auch nervenaufreibend. Wenn ich dachte, man könne etwas in einer Woche erledigen, dauerte es einen Monat. Da drehte ich zum Teil fast durch. Es war wirklich ein grosses Abenteuer.
SaSa: Ein Beispiel?
Martin: Radio Progresso ist ein staatliches kubanisches Radio. Dort hat es ein Studio, in welchem auch schon Ry Cooder Aufnahmen gemacht hat. Dieses Aufnahmestudio wurde im Mai 2002, als ich dort war, renoviert und modernisiert. Man sagte mir, die Sache sei Ende Monat abgeschlossen und wir seien die ersten, die darin aufnehmen dürften. Im Juni hiess es, das Studio sei noch nicht fertig. Die Sache verzögerte sich immer weiter bis Mitte August. Die Musiker, die schon einen Monat lang geprobt hatten, konnten also endlich ins Studio. Das ist kein bestehendes Orchester, die Band wurde von Gustavo speziell für dieses Projekt zusammengestellt. Als die Band im Studio war, ging aber die Klimaanlage kaputt. Dann kam der Chef von Radio Progesso und sagte, „wenn die Klimaanlage nicht läuft, arbeitet niemand in diesem Studio.“ Die Musiker wollten trotzdem aufnehmen, durften aber nicht.
Ende September, Anfang Oktober durften wir dann plötzlich ins Studio. Gustavo musste inzwischen neue Musiker suchen, weil einige Mitglieder des ursprünglichen Orchesters mit ihren Bands auf Tournee waren. Die Klimaanlage war zwar immer noch kaputt, trotzdem durften wir aufnehmen.
SaSa: Speziell ist nicht nur die Produktion, sondern auch die Firma, die Deine CD vertreibt.
Martin: Ich wollte für diese CD kein Label in der Schweiz suchen. Der Markt für diese Musik ist in erster Linie in Amerika und nicht hier. Es gibt hunderte von Leuten, die ihre Demo-CDs an alle möglichen Labels verschicken und auf einen Vertrag hoffen. Die kalifornischen Bembé-Records haben sich spezialisiert auf kubanische Musik. Sie vertreiben zum Beispiel Irakere, Manolito und andere gute Bands. Und ich bin tatsächlich bei Bembé untergekommen. Das ist natürlich genial. Es ist ein kleines Label, das aber gute Kontakte hat. Die CD wird daher zum Beispiel auch bei www.timba.com angepriesen. Es gibt keine andere schweizer Produktion, die dort zu finden ist. Die CD wird also an spezialisierten Orten gepusht. Zuerst gab es Vorbehalte wegen der Band. Diese wurde ja nur für die Aufnahmen zusammengestellt.
Das Album würde sich natürlich besser verkaufen, wenn die Band auf Tournee gehen würde. Schliesslich gefiel den Leuten von Bembé die Musik trotz diesem Makel gut genug, um die CD zu vertreiben.
SaSa: Und die Band?
Martin: Wir sind jetzt tatsächlich daran, die Band auf die Beine zu stellen. Aber das ist etwa gleich kompliziert, wie die CD-Aufnahme. Man kann nicht einfach damit beginnen, Konzerte zu geben. Es braucht eine Bewilligung des Staates. Zuerst wird ein Antrag gestellt. Bis man aber an die richtige Person gelangt, um einen Antrag stellen zu können, muss man mit einem Sekretär einen Morgen lang Bier trinken gehen, bis einem dieser verspricht, zu helfen. Unser Antrag ist angenommen worden, wir haben also immerhin die erste Hürde geschafft. Ob es aber zu einer Audition kommen wird, steht noch immer nicht fest. Jemand von einer technischen Kommission geht in die Probe und entscheidet, ob es sich überhaupt lohnt, für diese Band eine Audition zu machen. Wenn dieser die Band für gut genug befindet, gibt es ein öffentliches Vorspielen. Dann sitzen drei bis vier Juroren dort, die die Band bewerten. Schlussendlich gibt es eine Bewilligung, oder halt auch nicht. Eine Rekursmöglichkeit hat man nicht. Mit der Bewilligung gäbe es dann auch die Möglichkeit, ins Ausland auf Tournee zu gehen.
SaSa: Und bei einer Tournee wärst Du mit dabei?
Martin: Natürlich, das würde ich mir nicht entgehen lassen!
SaSa: Und wie sieht es mit einem Fortsetzungsprojekt aus?
Martin: Das hängt davon ab, was aus der Band wird. Wenn alles klappt, könnte ich mir eine Fortsetzung vorstellen. Und wenn nicht, dann halt nicht. Was ich bis jetzt erreicht habe ist schon etwas, womit ich nicht hatte rechnen dürfen. Ich kann jetzt nur noch gewinnen.
SaSa: In Kuba ist also auf Grund der Zusammenarbeit mit Dir eine neue Band entstanden.
Martin: Wenn die Bewilligung kommt, ja. Ich verstehe nun, weshalb sich in letzter Zeit immer mehr Kubaner über die Willkür des Systems beklagen. Ich finde nicht nur schlecht, was in Kuba läuft. Der Sozialismus würgt aber viele privaten Initiativen ab. Das frustriert die Leute. Hinter jeder neuen Band in Kuba steckt heute ein Ausländer, der die nötigen Finanzen hat. Anders geht es nicht mehr.
SaSa: Wann erfährst Du, wie es weiter geht? Ist das eine Frage von Jahren oder von Wochen?
Martin: Der Entscheid sollte demnächst da sein. Dann steht fest, ob es für diese Band eine Zukunft gibt oder nicht. Gustavo arbeitet im Moment daran, dass die CD auch in die kubanische Hitparade kommt. Radio Progesso hat ein Interview mit Gustavo gebracht und Stücke der CD gespielt. Zudem sollte es eine Kritik in der Revista Tropicana geben.
SaSa: Hast Du schon Verkaufszahlen?
Martin: Bis jetzt noch nicht. Ich würde natürlich nicht nein sagen, wenn ich Geld verdienen würde. Die Produktion hat mich rund 25'000 Franken gekostet, davon habe ich 7'000 Franken selbst beigesteuert. Das Ziel ist aber in erster Linie, dass die Leute die Musik hören können. Und zwar nicht nur meine Freunde und Bekannten hier in der Schweiz. Ich verkaufe die CD auch auf meiner Homepage.
Kürzlich habe ich sie an einen DJ in Süditalien verkauft. Kunden hatte ich auch in Finnland, Polen und in Spanien. Das ist natürlich ein Aufsteller. Ich weiss aber nicht, ob ich die Kosten wieder hereinholen kann. Wahrscheinlich nicht. Wenn die Band wirklich die Bewilligung erhält, in Kuba eine gewisse Reputation bekommt und dann deshalb auch im Ausland auf Tournee gehen kann, dann würde sich die Sache vielleicht rechnen.
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